Zerfetzte Flaggen: Leutnant Richard Bolitho in der Karibik - Kent Alexander - Страница 60
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Jemand rutschte in einer Blutlache aus und krachte gegen seinen Rucken. Bolitho sturzte zu Boden, seinen Degen behielt er nur in der Hand, weil er am Gelenk festgebunden war.
Als er sich wieder aufrichtete, sah er mit Staunen, da? ein Streifen Wasser zwischen den Schiffen klaffte, der standig breiter wurde. Mit zerfetzten Flaggen drifteten sie auseinander.
Auch die franzosischen Enterer hatten es bemerkt. Wahrend einige rasch auf den noch uber ihnen aufragenden Kluverbaum kletterten, versuchten andere, hinuberzuspringen. Die Entfernung war jedoch schon zu gro?, die meisten fielen ins Wasser, zwischen die treibenden Leichen und Verwundeten.
Einige hoben die Hande, um sich zu ergeben, als aber noch ein Marineinfanterist durch einen feindlichen Schutzen erschossen wurde, trieb man auch sie uber die Bordwand.
Bolitho fuhlte, wie die Krafte ihn verlie?en; er mu?te sich auf die Reling stutzen. Einige Geschutze schossen noch aufs Geratewohl durch den Qualm, aber der Kampf war vorbei. Die Segel der Argo-naute wurden rundgebra?t, allmahlich entfernte sie sich, das Heck jetzt dem Achterdeck der Trojan zugewandt.
Bolitho merkte, da? er auf dem Rucken lag und in den Himmel schaute, der ihm unnaturlich klar und blau und sehr weit weg schien. Seine Gedanken begannen zu driften wie der Rauch und wie die beiden schwer beschadigten Schiffe.
Ein Schatten fiel uber ihn, und er erkannte verschwommen, da? Stockdale neben ihm kniete, das zerschlagene Gesicht angsterfullt.
Bolitho versuchte, ihm zu erklaren, da? alles in Ordnung sei, da? er sich nur ein wenig ausruhe. Da drohnte eine Stimme an sein Ohr:»Tragt Mr. Bolitho sofort ins Lazarett!»
Er versuchte zu protestieren, aber die Anstrengung war zuviel fur ihn; ihm wurde schwarz vor Augen.
Bolitho offnete die Augen und blinzelte mehrmals, um klare Sicht zu bekommen. Als der Schmerz in seinen Kopf zuruckkehrte, merkte er, da? er unten im Orlopdeck vor dem Lazarett lag. Im Schein der von der Decke baumelnden Lampen wirkte der sonst dunkle Raum wie ein Inferno. Er lehnte halb gegen ein Spant und spurte, wie sich der Schiffsrumpf durch eine hohe Dunung arbeitete. Als sich seine Augen an die Dunkelheit gewohnt hatten, sah er, da? der ganze Raum voller Menschen war. Einige lagen still, waren wohl schon tot, andere krochen von Schmerzen gepeinigt hin und her.
In der Mitte des Decks, direkt unter den Lampen, arbeiteten Thorndike und seine Assistenten in grimmigem Schweigen an einem bewu?tlosen Seemann auf dem Tisch, wahrend ein Gehilfe mit einem Eimer weglief, aus dem ein amputierter Arm ragte.
Bolitho betastete seinen Kopf: er war blutverkrustet und hatte eine eigro?e Beule, aber sonst konnte er keine Verletzung feststellen. Er spurte, da? die Erleichterung daruber, von seiner Magengegend ausgehend, ihn wie eine Flutwelle durchstromte. Hinter seinen Augen staute sich der Schmerz und trieb ihm Tranen ubers Gesicht. Als wieder eine Gestalt zum Operationstisch getragen und aus den geschwarzten Kleidern geschalt wurde, fuhlte Bolitho sich beschamt. Er hatte Angst gehabt vor dem, was kommen wurde, aber verglichen mit dem Mann, der jetzt den Arzt anflehte, war er so gut wie unverletzt.
«Bitte, Sir!«Der Mann schluchzte so wild, da? einige der anderen Verwundeten ihren Schmerz verga?en und aufschauten.
Thorndike kam aus einem Verschlag und wischte sich den Mund ab. Er sah aus wie ein Fremder, seine Hande und Schurze waren rot von Blut.
«Tut mir leid.»
Thorndike nickte seinem Assistenten zu, und Bolitho sah erst jetzt das zerschmetterte Bein des Verwundeten. Er erkannte, da? es ein Mann aus seiner eigenen Batterie war, dem eine umgesturzte Kanone das Bein zerquetscht hatte.
Der arme Kerl jammerte und bettelte noch immer:»Nicht mein Bein, Sir!»
Eine Flasche wurde ihm zwischen die Zahne geschoben, und als er den Kopf nach hinten fallen lie?, noch wurgend an dem unverdunnten Rum, steckte man ihm einen Lederriemen zwischen die Zahne.
Bolitho sah das Messer aufblitzen und wandte sich ab. Es war grauenhaft, da? ein Mensch so leiden mu?te, schreiend und fast an seinem eigenen Erbrochenen erstickend, wahrend seine schreckerstarrten Kameraden schweigend zusahen.
Thorndike knurrte:»Zu spat. Schafft ihn an Deck. «Dann griff er wieder zur Flasche.»Der nachste!»
Neben Bolitho kniete ein Seemann, dem einige gro?e Holzsplitter aus dem Rucken gezogen wurden. Es war der Ausgucksmann Buller.
Er zuckte vor Schmerz, sagte aber:»Ich habe heute noch mal Gluck gehabt, Sir. «Das war alles, was er von sich gab, aber es sprach Bande.
«Sind Sie in Ordnung, Sir?«Das war Fahnrich Couzens.»Mich schickt der Erste Offizier. «Er wandte sich voller Schrecken um, als jemand tierisch zu schreien begann.»O Gott, Sir!»
Bolitho reichte ihm die Hand.»Helfen Sie mir auf. Ich mu? hinaus. «Muhselig taumelte er auf die Fu?e und klammerte sich wie betrunken an des Jungen Schulter.»Das hier werde ich nie vergessen!»
Stockdale kam ihnen mit vor Sorge zerfurchtem Gesicht entgegen und duckte sich unter dem Decksbalken hindurch.»Ich ubernehme ihn!»
Der Weg nach oben war ebenfalls ein Alptraum. Im unteren Batteriedeck hing noch immer Rauch und verbarg barmherzig die schlimmsten Spuren des Kampfes.
Plotzlich sah er Dalyell mit seinen zwei verbliebenen Fahnrichen Lunn und Burslem. Die drei besprachen mit den Geschutzfuhrern, was zu tun war.
Als Dalyell ihn entdeckte, kam er herubergelaufen, sein offenes Gesicht leuchtete vor Freude.
«Gott sei Dank, Dick! Ich hatte gehort, du seist tot!»
Bolitho versuchte zu lacheln, aber der Schmerz in seinem Schadel verhinderte das.
«Dasselbe habe ich von dir gehort.»
«Aye. Eine Kanone explodierte, von dem Schlag wurde ich besinnungslos. Ohne die Leute neben mir ware ich jetzt tot. «Er schuttelte traurig den Kopf.»Der arme Huss! Er war ein braver Junge.»
Bolitho nickte nachdenklich. Mit neun Fahnrichen waren sie von England abgefahren. Einer war befordert worden, einer in Gefangenschaft geraten, und jetzt war einer gefallen. Das Fahnrichslogis wurde in Zukunft ein trauriger Ort sein.
Dalyell wandte den Blick ab.»Das ist aus des Admirals Strategie geworden. Ein sehr hoher Preis fur das, was wir erreicht haben.»
Bolitho setzte mit seinen beiden Helfern den Weg zum oberen Batteriedeck fort, stand dort einen Augenblick still, atmete tief die frische Luft ein und blickte zum klaren Himmel uber dem verstummelten Fockmast auf.
Weitere Verwundete wurden hinuntergetragen, und Bolitho fragte sich, wie lange Thorndike wohl noch so weitermachen konnte: schneiden, sagen, nahen, stundenlang. Ihn schauderte. Andere wurden unter die Laufplanken geschleppt, wo sie steif und namenlos darauf warteten, da? der Segelmacher und seine Maaten sie fur ihre letzte Reise in Hangematten aus Segeltuch einnahen wurden. Was hatte Bunce gesagt? Das Wasser war hier rund dreitausend Meter tief. Eine lange, dunkle Fahrt, aber vielleicht fanden sie dort unten Frieden.
Bolitho schuttelte sich und wand sich vor stechendem Schmerz. Wieder verschwamm alles vor seinen Augen. Das mu?te aufhoren.
Cairns erschien, total erschopft.»Gut, Sie zu sehen, Dick. Ich konnte etwas Hilfe brauchen-«, er zogerte — ,»wenn Sie sich kraftig genug fuhlen.»
Bolitho nickte, geruhrt davon, da? Cairns, der jetzt so viel um die Ohren hatte, sich die Zeit genommen hatte, im Lazarett nach seinem Befinden fragen zu lassen.
«Es wird mir nur guttun.»
Er blickte uber das aufgerissene, zersplitterte Deck, wo er noch vor kurzer Zeit gestanden hatte: umgesturzte Geschutze, gro?e Stapel von herabgefallenem Tauwerk und zerrissenen Segeln. Manner, die sich wie Uberlebende auf einem Wrack ihren Weg durch diese Trummer bahnten. Wie konnte uberhaupt jemand uberlebt haben? Angesichts dieses Chaos' mu?te sich das jeder fragen.
«Wie geht es James?«erkundigte sich Bolitho.
Cairns Augen blickten finster.»Der Vierte Offizier ist am Leben, glaube ich. «Er klopfte Bolitho auf die Schulter.»Ich mu? weiter. Sie bleiben hier und unterstutzen den Bootsmann.»
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