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Die geheime Reise der Mariposa - Michaelis Antonia - Страница 19


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»Ja, Wasser.« In Jose stieg der Arger auf. »Dieses nasse Zeug, das von oben kommt. Man braucht es zum Uberleben. Wir haben ein paar leere Kanister unter Deck. Wenn es regnet, muss man sie fullen. Wer wei?, wann es wieder regnet! Und was macht der Flamingo hier auf der Treppe? Er ist im Weg.«

»Eduardo«, verbesserte Jonathan ihn. »Er hei?t Eduardo.«

Jose drangte sich an Eduardo vorbei und lie? sich auf die Bank gegenuber von Jonathan fallen. Er nahm ihm das Steuer ab und sah auf den Kompass. Der Kurs stimmte nicht mehr ganz. Er korrigierte ihn schweigend.

»Jose«, sagte Jonathan.

Jose sah auf. Jonathan griff uber Bord, tauchte eine Hand ins Wasser und fuhr sich damit durchs Gesicht.

»Wei?t du«, fragte Jonathan, »was ich in der letzten Nacht alles getan habe?«

Erst da merkte Jose, wie mude Jonathan aussah. Er konnte die Augen kaum offen halten. Zwei breite Schrammen liefen uber seine linke Wange, und er steckte in viel zu gro?en Kleidern, die Jose noch nie gesehen hatte. Sie machten ihn schmachtiger. Er trug die alte karierte Schiebermutze wieder, die seinem Vater gehort hatte. Und mit einer Hand hielt er einen braunen Stofffetzen umklammert. Seine Fingerknochel traten wei? hervor, so fest war sein Griff um das Stuck Stoff, und seine Hand zitterte. Jose legte eine Hand auf Jonathans Arm, und plotzlich tat es ihm leid, dass er argerlich gewesen war. »Was ist passiert?«

»Alles«, sagte Jonathan. »Du hast sehr, sehr fest geschlafen.«

Wahrend Jose auf dem Gaskocher Kaffee kochte, horte er Jonathan zu. Und schlie?lich bekam er eine Reihenfolge in die Ereignisse. Er blies in seine Blechtasse und betrachtete nachdenklich die Wellen im Kaffee. Die Mariposa fuhr wieder unter Segel, wenngleich mit verringerter Segelflache. Es war sehr still ohne das Motorengerausch.

»Am merkwurdigsten ist die Sache mit dem Anlasser«, sagte er. »Dass sich die Mariposa von selbst in den Wind gestellt hat, kann ich mir vorstellen. Aber dass du den Motor angeworfen hast, ohne es zu merken – die Abuelita hatte ihren Spa? gehabt letzte Nacht.«

»Wer?«, fragte Jonathan.

»Meine Urgro?mutter. – Eduardo, das ist Kaffee. Den kann man zwar filtern, aber nicht, wenn man ein Flamingo ist. Nimm deinen Schnabel aus meiner Tasse. – Die Abuelita ist ziemlich alt und erzahlt gern Gruselgeschichten. Mit Vorliebe uber Geister von Toten.«

Jose setzte Eduardo auf den Boden, damit er die Krabbensuppe aus der dort befindlichen Schale zum Fruhstuck filtern konnte. Oskar fischte die Stuckchen heraus. Zum Gluck hatte Juan Casaflora vor seinem Tod einen ausreichenden Vorrat an Krabbensuppe angelegt. Hatte er damit gerechnet, einen Flamingo auf der Mariposa zu beherbergen? Immerhin war er Forscher gewesen. Angeblich, hatte der Ami auf Baltra gesagt. Aber wenn er kein Forscher gewesen war, was dann?

Der Wind hatte seit der Nacht nachgelassen, doch er schob sie noch immer stetig uber das Wasser voran. Das Boot, das am Horizont geklebt hatte, war nicht mehr zu sehen.

»Glaubst du an das, was deine Gro?mutter erzahlt?«, fragte Jonathan. »An die Geister?«

»Naturlich nicht«, sagte Jose. »Sie erzahlt trotzdem. Du wirst jetzt sagen, ich bin verruckt, aber … sie redet manchmal in meinen Gedanken.«

»Du bist verruckt«, sagte Jonathan und grinste.

Jose seufzte. »Sie weigert sich, mich in Ruhe zu lassen, die storrische Alte. Ihr Vater war der, der vor uns zur Isla Maldita gefahren ist.«

»Vielleicht spricht sie deshalb mit dir. Sie hat Angst, dass du auch verschwindest.«

Jose schuttelte sich. »Ich verschwinde nicht. Keiner verschwindet. Stattdessen tauchen Dinge auf. Teddybaren fallen vom Himmel. Oder wie war das?«

Jonathan nickte. Er hatte den Baren die ganze Zeit uber festgehalten und nun streckte Jose zogernd seine Hand nach ihm aus. Das braune Fell, uber das er fuhr, war fadenscheinig und abgegriffen. Doch in den schwarzen Knopfaugen des Baren schien ein Geheimnis zu glanzen. Er wusste mehr, als er verriet.

»Meinst du, die Mowe hat ihn den ganzen Weg von der Isabelita hierhergebracht?«

Jonathan schuttelte den Kopf. »Da war dieses Boot. Wir sehen es jetzt nicht mehr, aber ich konnte wetten, es folgt uns. Die Mowen kamen aus dieser Richtung. Es ist das Boot, von dem Julias Bar stammt. Die Mowe hat ihn dort aufgesammelt und fur etwas Essbares gehalten.«

»Hm«, machte Jose. Konnte es sein, dass Jonathan Dinge sah, die es nicht gab? Bilder, aus Angst und Mudigkeit entstanden? Tote? Schiffe? Aber der Bar war ganz eindeutig da und er war vorher nicht da gewesen. Julias Bar, hatte Jonathan gesagt.

»Du sprichst es komisch aus«, sagte Jose. »Ich dachte, die Englander sagen Dschulia

»Ja«, sagte Jonathan. »Es liegt daran … dass … unsere Mutter, wei?t du, sie ist … sie war … sie stammte aus Holland. Die meisten in England haben naturlich Dschuliagesagt.« Jose sah zu, wie er dem Baren das rote Band wieder umband. »Manchmal wunschte ich, der dumme Bar ware mitverbrannt«, sagte Jonathan. »Er erinnert mich an die Nacht, in der sie gestorben sind. Als wurde es nicht reichen, dass ich davon traume.«

Jose zuckte die Schultern. »Wirf ihn uber Bord.«

Jonathan stand auf, streckte den Arm aus und lie? den Baren an einem Bein uber die Reling hangen. Dann druckte er ihn plotzlich an sich wie ein Kind. »Ich kann es nicht. Er und ich, wir sind die Einzigen der Familie, die jene Nacht uberlebt haben.«

Jose nickte. »Erzahl mir«, sagte er leise. »Erzahl mir, was in der Nacht geschehen ist. Vielleicht wird die Erinnerung dann leichter.«

Jonathan streichelte mit einem Finger Carmen, die neben ihm sa? und am letzten Rest eines trockenen Brotkantens nagte. Er schwieg so lange, dass Jose schon dachte, er wurde nichts erzahlen.

»Wir hatten jeder einen Koffer«, sagte er dann unvermittelt. »Mit unseren wichtigen Sachen. Er stand neben der Haustur. Man brauchte ihn nur zu greifen, wenn Bombenalarm war. Sogar Julia hatte ihren Koffer. Es gab dauernd Probealarm. Dann mussten wir alle hinuber, zum Nachbarhaus, Nummer 21. Es war wie ein Spiel. Der ganze Krieg war wie ein Spiel. Eine Zeit lang. Und dann …«

»Ja?«

»Dann erfuhren wir, dass Papa vermisst wurde. In Frankreich. Er ist nicht zuruckgekommen. Vermutlich … liegt er dort irgendwo in einem Massengrab. Eine Weile hat Mama fast nicht mehr mit uns gesprochen. Mit gar niemandem. Und dann fing sie wieder von den Galapagosinseln an. Wie schon alles ware, wenn wir dorthin gegangen waren, ehe der Krieg anfing. Sie holte die alten Bucher hervor, die wir uns so oft zusammen angesehen hatten. Sie sprach von ihrem Professor. Professor Blumenhaus.« Er biss sich auf die Zunge. Hatte Jose gemerkt, dass Blumenhaus ein deutscher Name war? Nein, offenbar nicht. »›Der hat es richtig gemacht‹, hat Mama gesagt«, fuhr er rasch fort. »›Er ist rechtzeitig aus … England … verschwunden. Sicher‹, sagte sie, ›ist er irgendwo auf den Galapagosinseln und sucht nach seinem blauen Schmetterling mit den Goldflecken. Er ist frei.‹ Und immer, wenn sie unsere Koffer ansah, seufzte sie. Wahrscheinlich dachte sie daran, wie gut es gewesen ware, diese Koffer auf ein Schiff uber den Pazifik zu tragen. Aber selbst Julia war klar, dass Mama nur traumte. Dann fielen die ersten Bomben auf die Stadt. ›Jetzt dauert es nicht mehr lange‹, sagte Mama, ›und sie fallen auch auf unsere Stra?e. Lasst sie nur alles kaputt machen. Soll doch alles brennen!‹ Sie wollte es. Verstehst du? Sie wollte, dass unser Haus brannte. Es war verruckt. Sie sehnte sich nach dem nachsten Fliegeralarm. Sie lachte uber die unsinnigsten Dinge. Als wusste sie, dass sie nicht mehr lange lachen konnte. Und dann kam diese Nacht im Mai. Ich wei? noch, wie ich mit meinem Koffer oben auf der Treppe stehe. Mama ruft nach mir. Ich renne … dann stehe ich drau?en. Der Mond scheint. Er bescheint Julia und ihren Teddybaren. Und Mamas Gesicht. Sie lachelt. Sie tragt Papas alte Mutze. Ihr Haar ist so hell, hell wie der Mond. Sie zerzaust mein Haar, als ware ich noch klein.

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Michaelis Antonia - Die geheime Reise der Mariposa Die geheime Reise der Mariposa
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