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Clavigo - Goethe Johann Wolfgang - Страница 2


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Erster Akt

Clavigos Wohnung

Clavigo. Carlos

Clavigo , vom Schreibtisch aufstehend.

Das Blatt wird eine gute Wirkung tun, es mu? alle Weiber bezaubern. Sag mir, Carlos, glaubst du nicht, da? meine Wochenschrift jetzt eine der ersten in Europa ist?

Carlos.

Wir Spanier wenigstens haben keinen neuern Autor, der so viel Starke des Gedankens, so viel bluhende Einbildungskraft mit einem so glanzenden und leichten Stil verbande.

Clavigo.

La? mich! Ich mu? unter dem Volke noch der Schopfer des guten Geschmacks werden. Die Menschen sind willig, allerlei Eindrucke anzunehmen; ich habe einen Ruhm, ein Zutrauen unter meinen Mitburgern; und, unter uns gesagt, meine Kenntnisse breiten sich taglich aus, meine Empfindungen erweitern sich, und mein Stil bildet sich immer wahrer und starker.

Carlos.

Gut, Clavigo! Doch wenn du mir's nicht ubelnehmen willst, so gefiel mir damals deine Schrift weit besser, als du sie noch zu Mariens Fu?en schriebst, als noch das liebliche, muntere Geschopf auf dich Einflu? hatte. Ich wei? nicht, das Ganze hatte ein jugendlicheres, bluhenderes Ansehn.

Clavigo.

Es waren gute Zeiten, Carlos, die nun vorbei sind. Ich gestehe dir gern, ich schrieb damals mit offnerem Herzen, und wahr ist's, sie hatte viel Anteil an dem Beifall, den das Publikum mir gleich anfangs gewahrte. Aber in der Lange, Carlos, man wird der Weiber gar bald satt; und warst du nicht der erste, meinem Entschlu? Beifall zu geben, als ich mir vornahm, sie zu verlassen?

Carlos.

Du warst versauert. Sie sind gar zu einformig. Nur, dunkt mich, war's wieder Zeit, da? du dich nach einem neuen Plan umsahest, es ist doch auch nichts, wenn man so ganz auf'm Sand ist.

Clavigo.

Mein Plan ist der Hof, da gilt kein Feiern. Hab ich's fur einen Fremden, der ohne Stand, ohne Namen, ohne Vermogen hieher kam, nicht weit genug gebracht? Hier an einem Hofe! unter dem Gedrang von Menschen, wo es so schwer halt, sich bemerken zu machen? Mir ist's so wohl, wenn ich den Weg ansehe, den ich zuruckgelegt habe. Geliebt von den Ersten des Konigreichs! geehrt durch meine Wissenschaften, meinen Rang! Archivarius des Konigs! Carlos, das spornt mich alles; ich ware nichts, wenn ich bliebe, was ich bin! Hinauf! Hinauf! Und da kostet's Muhe und List! Man braucht seinen ganzen Kopf; und die Weiber, die Weiber! Man vertandelt gar zu viel Zeit mit ihnen.

Carlos.

Narre, das ist deine Schuld. Ich kann nie ohne Weiber leben, und mich hindern sie an gar nichts. Auch sag ich ihnen nicht so viel schone Sachen, roste mich nicht monatelang an Sentiments und dergleichen; wie ich denn mit honetten Madchen am ungernsten zu tun habe. Ausgeredt hat man bald mit ihnen; hernach schleppt man sich eine Zeitlang herum, und kaum sind sie ein bi?chen warm bei einem, hat sie der Teufel gleich mit Heiratsgedanken und Heiratsvorschlagen, die ich furchte wie die Pest. Du bist nachdenkend, Clavigo?

Clavigo.

Ich kann die Erinnerung nicht loswerden, da? ich Marien verlassen — hintergangen habe, nenn's wie du willst.

Carlos.

Wunderlich! Mich dunkt doch, man lebt nur Einmal in der Welt, hat nur Einmal diese Krafte, diese Aussichten, und wer sie nicht zum besten braucht, wer sich nicht so weit treibt als moglich, ist ein Tor. Und heiraten! heiraten just zur Zeit, da das Leben erst recht in Schwung kommen soll! sich hauslich niederlassen, sich einschranken, da man noch die Halfte seiner Wanderung nicht zuruckgelegt, die Halfte seiner Eroberungen noch nicht gemacht hat! Da? du sie liebtest, das war naturlich, da? du ihr die Ehe versprachst, war eine Narrheit, und wenn du Wort gehalten hattest, war's gar Raserei gewesen.

Clavigo.

Sieh, ich begreife den Menschen nicht. Ich liebte sie wahrlich, sie zog mich an, sie hielt mich, und wie ich zu ihren Fu?en sa?, schwur ich ihr, schwur ich mir, da? es ewig so sein sollte, da? ich der Ihrige sein wollte, sobald ich ein Amt hatte, einen Stand — Und nun, Carlos!

Carlos.

Es wird noch Zeit genug sein, wenn du ein gemachter Mann bist, wenn du das erwunschten Ziele erreicht hast, da? du alsdann, um all dein Gluck zu kronen und zu befestigen, dich mit einem angesehenen und reichen Hause durch eine kluge Heirat zu verbinden suchst.

Clavigo.

Sie ist verschwunden! glatt aus meinem Herzen verschwunden, und wenn mir ihr Ungluck nicht manchmal durch den Kopf fuhre — Da? man so veranderlich ist!

Carlos.

Wenn man bestandig ware, wollt ich mich verwundern. Sieh doch, verandert sich nicht alles in der Welt? warum sollten unsere Leidenschaften bleiben? Sei du ruhig, sie ist nicht das erste verla?ne Madchen, und nicht das erste, das sich getrostet hat. Wenn ich dir raten soll, da ist die junge Witwe gegenuber —

Clavigo.

Du wei?t, ich halte nicht viel auf solche Vorschlage. Ein Roman, der nicht ganz von selbst kommt, ist nicht im stand, mich einzunehmen.

Carlos.

Uber die delikaten Leute!

Clavigo.

La? das gut sein, und vergi? nicht, da? unser Hauptwerk gegenwartig sein mu?, uns dem neuen Minister notwendig zu machen. Da? Whal das Gouvernement von Indien niederlegt, ist immer beschwerlich fur uns. Zwar ist mir's weiter nicht bange; sein Einflu? bleibt — Grimaldi und er sind Freunde, und wir konnen schwatzen und uns bucken —

Carlos.

Und denken und tun, was wir wollen.

Clavigo.

Das ist die Hauptsache in der Welt.

Schellt dem Bedienten.

Tragt das Blatt in die Druckerei!

Carlos.

Sieht man Euch den Abend?

Clavigo.

Nicht wohl. Nachfragen konnt Ihr ja.

Carlos.

Ich mochte heut abend gar zu gern was unternehmen, das mir das Herz erfreute; ich mu? diesen ganzen Nachmittag wieder schreiben. Das endigt nicht.

Clavigo.

La? es gut sein! Wenn wir nicht fur so viele Leute arbeiteten, waren wir so viel Leuten nicht uber den Kopf gewachsen.

Ab.

Guilberts Wohnung

Sophie Guilbert. Marie Beaumarchais. Don Buenco.

Buenco.

Sie haben eine uble Nacht gehabt?

Sophie.

Ich sagt's ihr gestern abend. Sie war so ausgelassen lustig und hat geschwatzt bis eilfe, da war sie erhitzt, konnte nicht schlafen, und nun hat sie wieder keinen Atem und weint den ganzen Morgen.

Marie.

Da? unser Bruder nicht kommt! Es sind zwei Tage uber die Zeit.

Sophie.

Nur Geduld, er bleibt nicht aus.

Marie aufstehend.

Wie begierig bin ich, diesen Bruder zu sehen; meinen Richter und meinen Retter. Ich erinnere mich seiner kaum.

Sophie.

O ja, ich kann mir ihn noch wohl vorstellen; er war ein feuriger, offener, braver Knabe von dreizehn Jahren, als uns unser Vater hierher schickte.

Marie.

Eine edle, gro?e Seele. Sie haben den Brief gelesen, den er schrieb, als er mein Ungluck erfuhr. Jeder Buchstabe davon steht in meinem Herzen.»Wenn Du schuldig bist«, schreibt er,»so erwarte keine Vergebung; uber Dein Elend soll noch die Verachtung eines Bruders auf dir schwer werden, und der Fluch eines Vaters. Bist du unschuldig — o dann alle Rache, alle, alle gluhende Rache auf den Verrater!«— Ich zittere! Er wird kommen. Ich zittere, nicht fur mich, ich stehe vor Gott in meiner Unschuld. — Ihr mu?t, meine Freunde — Ich wei? nicht, was ich will! O Clavigo!

Sophie.

Du horst nicht! Du wirst dich umbringen.

Marie.

Ich will stille sein! Ja ich will nicht weinen. Mich dunkt auch, ich hatte keine Tranen mehr! Und warum Tranen? Es ist mir nur leid, da? ich euch das Leben sauer mache. Denn im Grunde, woruber beklag' ich mich? Ich habe viel Freude gehabt, solang unser alter Freund noch lebte. Clavigos Liebe hat mir viel Freude gemacht, vielleicht mehr als ihm die meinige. Und nun — was ist's nun weiter? Was ist an mir gelegen? an einem Madchen gelegen, ob ihm das Herz bricht? Ob es sich verzehrt und sein armes junges Leben ausqualt?

Buenco.

Um Gottes willen, Mademoiselle!

Marie.

Ob's ihm wohl einerlei ist — da? er mich nicht mehr liebt? Ach! warum bin ich nicht mehr liebenswurdig? — Aber bedauern, bedauern sollt er mich! da? die Arme, der er sich so notwendig gemacht hatte, nun ohne ihn ihr Leben hinschleichen, hinjammern soll. — Bedauern! Ich mag nicht von dem Menschen bedauert sein.

Sophie.

Wenn ich dich ihn konnte verachten lehren, den Nichtswurdigen! den Hassenswurdigen!

Marie.

Nein, Schwester, ein Nichtswurdiger ist er nicht; und mu? ich denn den verachten, den ich hasse? — Hassen! Ja, manchmal kann ich ihn hassen, manchmal, wenn der spanische Geist uber mich kommt. Neulich, o neulich, als wir ihm begegneten, sein Anblick wirkte volle warme Liebe auf mich! und wie ich wieder nach Hause kam, und mir sein Betragen auffiel, und der ruhige, kalte Blick, den er uber mich herwarf an der Seite der glanzenden Donna — da ward ich Spanierin in meinem Herzen, und griff nach meinem Dolch und nahm Gift zu mir, und verkleidete mich. Ihr erstaunt, Buenco? Alles in Gedanken, versteht sich.

Sophie.

Narrisches Madchen!

Marie.

Meine Einbildungskraft fuhrte mich ihm nach, ich sah ihn, wie er zu den Fu?en seiner neuen Geliebten alle die Freundlichkeit, alle die Demut verschwendete, mit der er mich vergiftet hat — ich zielte nach dem Herzen des Verraters! Ach, Buenco! — Auf einmal war das gutherzige franzosische Madchen wieder da, das keine Liebestranke kennt und keine Dolche zur Rache. Wir sind ubel dran! Vaudevilles, unsere Liebhaber zu unterhalten, Facher, sie zu strafen, und wenn sie untreu sind? — Sag, Schwester, wie machen sie's in Frankreich, wenn die Liebhaber untreu sind?

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