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Grieche sucht Griechin - Дюрренматт Фридрих - Страница 7


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Archilochos betrat mit OB9GZ niegeahnte Räume, Reiche aus Glas und unbekanntem Material, glänzend vor Sauberkeit, wunderbare Lifts, die ihn nach den oberen geheimnisvollen Stockwerken des Verwaltungsgebäudes hoben. Sekretärinnen schwebten, dufteten an ihm vorüber, lächelten, blonde, schwarze, braune und eine mit herrlichem zinnoberrotem Haar, Sekretäre machten ihm Platz, Direktoren verneigten sich, Generaldirektoren nickten ihm zu, sanfte Korridore nahmen ihn auf, über deren Türen bald rote, bald grüne Lämpchen aufleuchteten, die einzigen Anzeichen einer diskreten Verwaltungstätigkeit. Sie wandelten lautlos auf weichen Teppichen, schien doch jeder Lärm, auch das leiseste Räuspern, das verstohlenste Husten verpönt. Französische Impressionisten leuchteten an den Wänden (Petit-Paysans Bildersammlung war berühmt), eine Tänzerin von Degas, eine Badende von Renoir, Blumen dufteten in hohen Vasen. Je höher sie kamen, schwebten, desto menschenleerer wurden die Korridore und Hallen. Sie verloren das Sachliche, Übermoderne, Kalte, ohne die Proportionen zu ändern, wurden phantastischer, wärmer, menschlicher, Gobelins hingen nun an den Wänden, goldene Rokoko- und Louis XIV-Spiegel, einige Poussins, einige Watteaus, ein Claude Lorrain, und als sie das letzte Stockwerk erreichten (OB9GZ, ebenso eingeschüchtert wie Archilochos, war er doch nie so weit gedrungen, verabschiedete sich hier), wurde der Unterbuchhalter von einem würdigen ergrauten Herrn in tadellosem Smoking in Empfang genommen, wohl von einem Sekretär, der den Griechen durch heitere Korridore und lichte Hallen führte, mit antiken Vasen und gotischen Madonnen, mit asiatischen Götzen und indianischen Wandteppichen. Nichts erinnerte mehr an die Herstellung von Atomkanonen und Maschinengewehren, vielleicht nur, daß man beim Anblick einiger Putten und Dreikäsehochs, die dem Unterbuchhalter von einem Rubensgemälde entgegenlachten, entfernt an Geburtszangen hätte denken können. Alles war heiter hier oben. Durch die Fenster schimmerte die Sonne als warme wohlige Scheibe, obwohl sie in Wirklichkeit in einem eiskalten Himmel stand. Bequeme Sessel und Kanapees standen herum, irgendwo war ein helles Lachen zu hören, das Archilochos in seinem grauen Arbeitskittel an das Lachen Chloés erinnerte, an den heiteren Sonntag, den er erlebt hatte, und der nun eine märchenhafte Fortsetzung nahm, irgendwo zitterte Musik, Haydn oder Mozart, kein Schreibmaschinengeklimper war vernehmbar, kein Hin- und Hergehen aufgeregter Buchhalter, nichts, das ihn an die Welt erinnerte, der er eben entstiegen war, die nun tief unter ihm lag wie ein böser Traum. Dann standen sie in einem hellen Raum, mit roter Seide ausgeschlagen, mit einem großen Gemälde, eine nackte Frau darstellend, wohl der berühmte Tizian, von dem man überall sprach, dessen Preis man sich überall zuflüsterte. Zierliche Möbelchen, ein kleiner Schreibtisch, eine kleine Wanduhr mit silbernem Ticktack, ein Spieltischchen mit einigen Sesselchen waren da und Blumen, Rosen, Kamelien, Tulpen, Orchideen, Gladiolen in verschwenderischer Fülle, als gäbe es keine Jahreszeit, keine Kälte, keinen Nebel und keinen Winter. Kaum waren sie eingetreten, öffnete sich eine kleine Seitentüre und Petit-Paysan trat herein, angezogen wie der Sekretär, im Smoking, eine Dünndruckausgabe der Gedichte Hölderlins in der linken Hand, den Zeigefinger zwischen den Seiten. Der Sekretär ging hinaus. Archilochos und Petit-Paysan standen sich gegenüber.

«Nun«, sagte Petit-Paysan,»mein lieber Herr Anaximander —»

Sein Name sei Arnolph Archilochos, verbesserte der Unterbuchhalter und verneigte sich.

«Archilochos. Sehr gut. Wußte, daß Ihr Name so was Griechisches, Balkanisches war, mein lieber Herr Oberbuchhalter.»

«Unterbuchhalter«, stellte Archilochos seinen sozialen Stand richtig.

«Unterbuchhalter, Oberbuchhalter, das ist doch ziemlich dasselbe«, lächelte der Großindustrielle,»oder nicht? Wenigstens ich mache da keinen Unterschied. Wie gefällt denn Ihnen mein Aufenthaltsort da oben? Schöne Aussicht, muß ich selber sagen. Sie sehen die ganze Stadt, den Strom und sogar das Palais des Staatspräsidenten, von der Kathedrale ganz zu schweigen, und in der Ferne den Nordbahnhof.»

«Sehr schön, Herr Petit-Paysan.»

«Sie sind auch der erste der Atomkanonenabteilung, der dieses Stockwerk betritt«, gratulierte der Großindustrielle Archilochos, als hätte er eine sportliche Leistung vollbracht.

Er komme von der Geburtszangenabteilung, entgegnete Archilochos. Er bearbeite die Ostschweiz und das Tirol, gegenwärtig den Kanton Appenzell Innerrhoden.

«Schau, schau«, wunderte sich Petit-Paysan.»Sie kommen aus der Geburtszangenabteilung, wußte gar nicht, daß wir solche Apparate fabrizieren. Was ist denn das?»

Die Geburtszange, erklärte Archilochos, lateinisch >Forceps<, sei ein geburtshilfliches Instrument, welches bestimmt sei, beim Geburtsakt den Kopf des Kindes zu fassen, so daß die Entbindung schneller vonstatten gehen könne als bei der Wehentätigkeit allein. Die Petit-Paysan-Maschinenfabrik AG fabriziere Zangen verschiedener Konstruktion; bei allen aber unterscheide man einerseits die beiden gefensterten Löffel, die gekrümmt seien, um den Kopf zu umfassen und eine zweite Krümmung besäßen, die Beckenkrümmung; auch wohl noch eine Dammkrümmung, die sie zur Einführung geeignet mache; andererseits die Griffe, welche, kurz oder lang, in Holz oder Metall ausgeführt seien, die mit oder ohne besondere Handhaben und Quergriffe sein könnten; und dann unterscheide man noch das Schloß, das heißt die Vorrichtung, mittels der beide Löffel im Augenblick des Gebrauchs kreuzweise zu einer Zange bereitet würden. Die Preise…

«Sie beherrschen Ihre Materie ja ausgezeichnet«, lächelte der Großindustrielle.»Aber die Preise wollen wir uns ersparen. Nun, mein lieber Herr —»

«Archilochos.»

«Archilochos, um es kurz zu machen und Sie nicht länger auf die Folter zu spannen, ich ernannte Sie zum Direktor der Atomkanonen. Sie gestanden mir zwar eben, Sie gehörten der Geburtszangenabteilung an, von deren Existenz ich wirklich keine Ahnung hatte. Das überrascht mich ein wenig, muß irgendwo eine Verwechslung stattgefunden haben, ständig wird ja in einem solchen Riesenbetrieb irgend etwas verwechselt. Nun gut, das macht nichts, legen wir die beiden Abteilungen zusammen, betrachten Sie sich demnach als Direktor der Atomkanonen- und der Geburtszangenabteilung, werde die Pensionierung der betreffenden Direktoren anordnen. Ich freue mich, Ihnen die Beförderung persönlich mitteilen zu dürfen, und wünsche Ihnen Glück.»

«Herr Direktor Zeus von der Geburtszangenabteilung befindet sich bereits im Krankenhaus.»

«Ach, was hat er denn?»

«Nervenzusammenbruch.»

«Ei, da wird meine Absicht schon zu ihm gedrungen sein«, schüttelte Petit-Paysan verwundert den Kopf,»und dabei wollte ich doch den Direktor Jehudi von der Atomkanonenabteilung entlassen. Irgendwo sickert immer etwas nach unten, wird viel zu viel geschwatzt, nun gut, Direktor Zeus ist mir zuvorgekommen mit seinem Nervenzusammenbruch. Hätte ihn ja nun auch entlassen müssen. Hoffen wir nur, daß Direktor Jehudi seine Sistierung mit um so größerer Fassung entgegennehmen wird.»

Archilochos nahm sich zusammen und wagte Petit-Paysan mit seinem Dünndruckband zum ersten Mal offen anzusehen.»Dürfte ich fragen«, sagte er,»was dies alles bedeutet. Sie lassen mich rufen, Sie befördern mich zum Direktor der Atomkahonen- und der Geburtszangenabteilung. Ich bin beunruhigt, wie ich gestehen muß, weil ich dies alles nicht begreife.»

Petit-Paysan sah den Unterbuchhalter ruhig an, legte den Band Hölderlin auf das grüne Spieltischchen, setzte sich, lud mit einer Handbewegung Archilochos ein, sich ebenfalls zu setzen. Sie saßen einander im Sonnenlicht gegenüber, auf weichen Polstern, Archilochos wagte kaum zu atmen, so feierlich kam ihm die Szene vor. Endlich würde er den Grund der rätselhaften Vorfälle vernehmen, dachte er.

«Herr Petit-Paysan«, begann er deshalb von neuem mit schüchterner stockender Stimme:»Ich habe Sie immer verehrt, Sie sind Nummer drei in meinem sittlichen Weltgebäude, das ich mir zusammengezimmert habe, um einen moralischen Halt zu besitzen. Sie kommen unmittelbar nach unserem verehrten Staatspräsidenten und Bischof Moser von der Altneupresbyteranischen Kirche, das sei alles gestanden; um so mehr möchte ich Sie anflehen, mir den Grund Ihres Handelns zu erklären: Buchhalter Rummel und Oberbuchhalter Petit-Pierre wollen mir einreden, es sei meiner Berichte wegen über die Ostschweiz und über das Tirol, aber die liest doch kein Mensch.»

«Lieber Herr Agesilaos«, sagte Herr Petit-Paysan feierlich —

«Archilochos.»

«Lieber Herr Archilochos, Sie waren Buchhalter oder Oberbuchhalter — ich werde aus dem Unterschied, wie gesagt, nicht klug — und sind nun Direktor; das scheint Sie zu verwirren. Sehen Sie, mein lieber Freund, Sie müssen all diese für Sie merkwürdigen Vorgänge in weltweiten Zusammenhängen sehen, als einen Teil der mannigfaltigen Tätigkeit, die meine liebe Maschinenfabrik ausübt, fabriziert sie doch — wie ich heute zum ersten Mal zu meiner Freude höre — sogar ja auch Geburtszangen. Hoffentlich rentiert diese Fabrikation auch etwas.»

Archilochos strahlte.

Allein im Kanton Appenzell Innerrhoden habe man in den letzten drei Jahren zweiundsechzig Stück abgesetzt, berichtete er.

«Hm, etwas wenig. Doch sei es. Wird sich eben mehr um eine humane Abteilung handeln. Es tut nur gut, daß wir zu den Dingen, die die Menschheit aus der Welt schaffen, auch Dinge fabrizieren, die sie hineinbringen. Ein gewisses Gleichgewicht muß eben bestehen, auch wenn nicht alles rentiert. Da wollen wir denn dankbar sein.»

Petit-Paysan machte eine Pause und sah dankbar aus.

«Hölderlin nennt den Kaufmann, den Industriellen somit, in seinem Gedicht Archipelagos >fernhinsinnend<«, fuhr er endlich fort, etwas seufzend.»Ein Wort, das mich erschüttert. So ein Betrieb ist ungeheuer, mein lieber Herr Aristipp, die Zahl der Arbeiter und Angestellten, der Buchhalter und der Sekretärinnen ist unmäßig, nicht mehr zu überblicken, kenne ich ja kaum die Direktoren und nur etwas flüchtig die Generaldirektoren, der Kurzsichtige geht in diesem Dschungel irre, nur wer fernsichtig nicht die Einzelheiten und Einzelschicksale, sondern das Ganze im Auge behält, das Fernziel nicht verliert, fernhinsinnend ist, wie eben der Dichter sagt — Sie kennen doch seine Werke —, nur wer immer aufs neue zu planen, immer neue Unternehmen aufzuziehen versteht, in Indien, in der Türkei, in den Anden, in Kanada, geht nicht unter in den Sümpfen der Konkurrenz und der Trusts. Fernhinsinnend: Bin eben dabei, mich mit dem Gummi- und Schmieröltrust zu verbinden. Das wird das Geschäft.»

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